Wie gehe ich damit um, wenn mein Hund Herausforderungen hat? Wie gehe ich damit um, wenn mein Hund Herausforderungen hat? #1 - Marion Rusch

Eine Geschichte aus dem echten Leben - nichts tarnt sich so geschickt wie eine Chance! Viel Freude beim Lesen!

Nichts tarnt sich so geschickt wie eine Chance und so dürfen all unsere Herausforderungen als Chance betrachtet werden. Das klingt leicht, ist es aber nicht. Zumal die Herausforderungen meines Hundes oft mit mir als Hundehalterin zu tun haben.


Die die mich kennen, wissen, dass ich mit meinem Hund Kairo, kurz nach dem er bei uns einzog, einen Beissvorfall erlebt habe. Unsere damalige Nachbarin wurde dabei am Unterarm verletzt. Dieses Erlebnis war für alle Beteiligten sehr traumatisierend. Der Vorfall geschah im Eingangsbereich unseres Treppenhauses. Somit waren wir jeden Tag, trotz sorgfältigem Maulkorbeinsatz und vielen weiteren Managementmassnahmen mit dem Gefühl der Angst, dass es wieder passieren könnte, konfrontiert.

Die Reaktion meines Hundes auf ihre Anwesenheit im Treppenhaus war beängstigend und ein Ausdruck seiner und meiner Überforderung. Es war mir klar, dass er sie mit grosser Wahrscheinlichkeit angreifen würde, wenn wir ihr begegnen würden. Entsprechend war ich auch draussen mit ihm sehr vermeidend unterwegs, da ich noch nicht erkennen und verstehen konnte, was diese Reaktionen bei ihm auslösen. Wenn ich auf einem Spaziergang Menschen aus der Ferne gesehen habe, bin ich sofort in dieses Gefühl der Angst zurückgefallen, mein gesamter Körper hat sich angespannt, Zug war auf der Leine und ich habe alles getan, um so schnell wie möglich das Weite zu suchen. Mein Hund spürte meine innere Anspannung - Alarmbereitschaft, da ist Gefahr im Verzug. Entsprechend war seine Reaktion manchmal so heftig, dass ich keine Chance mehr hatte, aus der Situation rauszukommen. Wir mussten viele überfordernde Situationen aussitzen, was mit einem 30 kg Hund an der Leine, der einen Maulkorb trägt und sich sehr angsteinflössend aufführt, alles andere als angenehm ist. Ich habe mich geschämt, weil wir immer auf die Rücksichtnahme anderer angewiesen waren. Manchmal sind die Leute trotz meiner verzweifelten Bitte, Abstand zu halten nah an uns herangetreten, haben uns gutgemeinte Ratschläge erteilt. Andere haben uns verachtende Blicke zugeworfen oder uns sogar beschimpft.

Ich habe in diesen Situationen nicht im entferntesten den Eindruck erweckt, als hätte ich die Situation im Griff. Ich habe ihn einfach gehalten während meine Emotionen in meinem Inneren gebrodelt haben.

Ich kann euch nicht sagen, wie oft wir in der Wohnung festsassen, weil sich Leute auf dem Parkplatz vor dem Haus aufgehalten haben oder ich mir nicht sicher war, ob sich jemand im Treppenhaus oder der Waschküche befindet. Neben dem Haus führt ein Wanderweg vorbei. Ich habe mich aufgeregt und mich gefragt, weshalb sie gerade jetzt ausgerechnet diesen Weg wählen mussten. Meine Gedanken hingen in der Negativität fest. Gefühle der Angst, Schuld, Scham, Wut, Hilflosigkeit und Traurigkeit haben sich immer mehr in mir ausgebreitet. 

Das alles hat mein Hund gespürt. Je heftiger meine Gefühle waren, desto heftiger waren seine Reaktionen. So ging das ein paar Wochen weiter, bis ich gemeinsam mit meinem Partner und unserem Hund unterwegs war und er ihn führte. Einige Spazierende kamen uns entgegen und mein Partner blieb völlig gelassen. Er bewertete diese Situation völlig anders als ich, weil er keine negativen Erfahrungen mit unserem Hund gemacht hatte. Für ihn stellte diese Situation keine Bedrohung dar. Ich habe mich zusammengerissen, was mich sehr viele Ressourcen gekostet hatte und siehe da, wir konnten sehr nah an der Spaziergruppe vorbeigehen, ohne auch nur die geringste Reaktion meines Hundes. Von diesem Tag an war mir klar, dass ich mich selbst und meine Bewertung der Umwelt verändern musste. Ich bin hier das Problem! Mein Hund braucht einen sicheren Hafen.

Ich habe daran gearbeitet und tue es immer noch. Wie habe ich das gemacht? Ich habe mein soziales Umfeld genutzt, um für mich und meinen Hund Situationen in sicherem Rahmen zu schaffen, um positive Erfahrungen machen zu dürfen (soziale Spaziergänge, Maulkorb, Aufbau von Geschirrgriff in Situationen, die wir gut händeln konnten, Verhaltensberatung, Aufbau von Signalen wie «Wenden» ebenfalls in Situationen ohne Reiz, sensorische Diät, Stressreduktion, Weiterbildung, Sicherheit durch faire Leinenführung, Umzug und langsam zurück ins Leben……) .

Wir haben uns so lange im sicheren Rahmen bewegt, bis sich meine Bewertung, meine Gefühle der Angst in Vertrauen und Sicherheit verändern durfte. War das leicht? Nein! Ging das schnell? Nein!

Es hat mich sehr viel Energie und Zeit gekostet und wäre ohne ein unterstützendes soziales Umfeld inkl. unserer Verhaltensberaterin und ohne den
Umzug unmöglich gewesen. Es ist mir wichtig dazu zu sagen, dass während unseres gemeinsamen Prozesses, der noch nicht abgeschlossen ist, immer mein Hund entscheiden darf, wie nah, wie schnell, wie oft, wie intensiv wir die Themen angehen. Ich habe gelernt ihn besser zu lesen und zu verstehen, was er in welcher Situation von mir und von der Umwelt benötigt. Zudem habe ich mich selbst besser kennengelernt. Ich muss wissen, wie meine Tagesverfassung ist und auch die meines Hundes, um einzuschätzen, was wir heute gemeinsam meistern können und wo unsere Grenzen sind. Es gibt noch immer Tage, an denen ich den Eindruck habe, dass ich mit beiden Beinen auf der Erde stehe und mir mein Hund das Gegenteil mitteilt, indem er an solchen Tagen reaktives Verhalten zeigt, auch wenn es nie mehr so intensiv wie früher ist. Es sagt mir, dass ich mit meiner Einschätzung über meinen inneren Zustand nicht immer richtig liege. Das kann ich mittlerweile durch einen milderen Umgang mit mir selbst gut annehmen, sogar über mich selbst lachen, mich bei meinem Hund herzlich
dafür bedanken, dass er mich besser kennt als ich mich selbst und mir immer wieder das Spieglein vor den Kopf hält, mir meine Schwächen verzeiht und wir so gemeinsam wachsen können - Jeden Tag auf ein Neues. Das erfüllt mein Herz mit Stolz und Freude, in ihm einen so fantastischen Gefährten gefunden zu haben. Das
selbe Gefühl erfüllt mich bei meinem so sehr unterstützenden Partner und meinen Freundinnen, die mir/ uns auf unserem Weg so wertvolle Unterstützung, Zeit und
Verständnis geschenkt haben. DANKE!

Unser Hund HAT Themen, weil er in seinem Leben vor uns traumatisches mit Menschen erlebt hat. Diese Themen werden vermutlich auch ein Stück weit bleiben und das ist ok. Wir kennen unsere Grenzen und wissen, was wir tun können und was nicht. Wir wissen, wie wir Situationen gestalten können, damit alle sicher sein
können.

Aus meinen so intensiven Erfahrungen heraus, handle ich aus tiefster Überzeugung nach der empathischen Hundeführung, die sich nach der konstruktivistischen Lerntheorie richtet. Diese fordert eine aktive Auseinandersetzung mit sich selbst und der Umwelt. Sie zielt darauf ab, durch individuelle Erfahrung die eigene innere Wahrheit zu formen. Dabei gilt, dass jeder einzelne seine eigene Sichtweise/ Bewertung/ innere Wahrheit konstruiert, die sich stetig verändern kann und darf – Lernen als aktiver Prozess. Es geht bei dieser Art des Lernens nicht darum, ein Individuum nach meinen Vorstellungen zu formen und Verhalten rasant durch Konditionierung zu verändern. Es geht darum, die darunterliegenden Emotionen nachhaltig positiv zu verändert. Dieser Weg ist geprägt von ehrlichem und tiefem gegenseitigem Verständnis, von Respekt, von Akzeptanz und Empathie, öffnet das Herz und schafft Verbundenheit.

Nichts tarnt sich so geschickt wie eine Chance.
Was meine ich damit? All diese Herausforderungen mit meinem Hund und mir selbst, haben mir zu einem tiefen Verständnis für meinen Hund und mich verholfen. Ich musste sehr schnell lernen und nach vorne blicken. Am aller wichtigsten war, meinen Hund richtig zu verstehen und kleine, sehr feine Signale zu erkennen. Ich habe gelernt, stark zu sein, für mich und meinen Hund einzustehen, unsere und fremde Grenzen zu erkennen und entsprechend zu handeln. Wir sind mittlerweile ein eingespieltes Team. Man sieht uns nicht mehr an, wie viel harte Arbeit das war und teilweise noch immer ist, denn wir sind entspannt gemeinsam unterwegs. Die Themen sind nicht verpufft, aber wir wissen, was wir tun
können. Ich achte dabei gut auf meine eigene Tagesverfassung und die meines Hundes. Kairo durfte erfahren, dass ihm Gutes widerfahren kann, dass er sich auf mich und meinen Partner verlassen kann und die Situation nicht selbst regeln muss.

Es ist schön, sich wieder an belebteren Orten aufhalten zu können, wo wir anderen Hunden und Menschen so begegnen können, dass es für Kairo eine gute Erfahrung
sein darf. So haben wir mittlerweile einige Hude- und Menschenfreunde gewinnen können. Sogar Besuch können wir empfangen. Kairo hat mir die Sprache der Hunde sehr deutlich erklärt, auch wenn es gedauert hat, sie wirklich zu verstehen. Er zeigte mir sehr klar, was er braucht und wo seine Grenzen sind. Es hat nur gedauert, seine Botschaft richtig zu verstehen, ihn in seiner Not zu sehen und ihm Sicherheit zu geben, damit er wieder ins Vertrauen gehen konnte.

„Deine Entwicklung ist meine Entwicklung – Wir sind verbunden.“ Kairo 2023 in einer Tierkommunikation mit M. Roncaglioni

DANKE an meinen grossartigen Lehrer Kairo, mein unterstützendes Umfeld und
allen, die uns mit ihrem Fachwissen auf unserem Weg begleitet haben und es
weiterhin tun.

Geschrieben von